| OECD PROGRAMMEFOR INTERNATIONAL STUDENT ASSESSMENT (PISA) - Mai 2002
Pisa – Studie : Welche grundsätzlichen Konsequenzensollten erwogen werden?Die Ergebnisse der Pisa - Studie haben allenthalben mit Recht für Aufregunggesorgt. Zeigen sie uns doch, das wir (unsere Gesellschaft) offenbar nicht genugtun, um eine hohe Bildung als wichtigste Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeitunseres Landes zu sichern. Es gibt wohl kaum Zweifel, dass Gesellschaften künftignur dann Bestand haben werden („lebensfähig“ bleiben werden), wenn ihreMitglieder über eine hohe, den technologischen, ökonomisch-ökologischen undpolitischen Bedingungen entsprechende Bildung verfügen. Inden Meinungsäußerungen dazu, dass Deutschland nur – wie vornehm gesagt wird– einen mittleren Platz in der Rangliste der an der Studie beteiligten Länderbelegt hat, klingt oft Verwunderung mit. Gelegentlich werden die Ergebnisserelativiert oder gar angezweifelt. Aber für all diejenigen, die die„Bildungsszene“ in unserem Land über längere Zeit beobachtet haben –u.a. Führungsgremien der Wirtschaft, Berufausbilder, Hochschullehrer – warendie Ergebnisse der Pisa – Studie keine Überraschung, zumal die VorgängerstudieTimss (Third International Mathematics and Science Study ) ähnliche Signalegeliefert hat. Mich haben die Ergebnisse auch nicht überrascht. Als Koordinatorder BRD für die Internationale Biologieolympiade (IBO) konnte ich von 1990 bis1996 (1998) im Rahmen der Seminare zur Auswahl der jeweils vier Besten aus etwa40 bis 45 Bewerbern, die dann Deutschland im internationalen Wettbewerbvertraten, die Leistungsunterschiede sowohl zwischen den Bewerbern als auchzwischen den Mannschaften der an der IBO teilnehmenden Länder (derzeit 36)beobachten. Abgesehen von relativ wenigen „Spitzen“ mangelte es bei vielenBewerbern unseres Landes an sicheren Grundlagenkenntnissen aus dem Bereich derBiowissenschaften, aber auch aus der Chemie und Physik, die für das Verständnisbiologischer Konzepte unerlässlich sind. Ebenso waren grundlegende Fähigkeitenund Fertigkeiten der Handhabung oft elementarer Methoden und Verfahren nichthinreichend ausgebildet. Große Schwierigkeiten bereitete die Anwendungallgemeiner Kenntnisse, die im Gedächtnis gespeichert waren, also abrufbar zurVerfügung standen, auf bisher nicht analysierte Erscheinungen. In den erstenJahren machten die Bewerber aus den ehemaligen Spezialschulenmathematisch-naturwissenschaftlicher Richtung der neuen Bundesländer einepositive Ausnahme. Offensichtlich hing das mit den spezifischen Bedingungen andiesen zumeist Internatschulen zusammen, in die Schülerinnen/Schüler ab Klasse9 aufgenommen werden konnten. An diesen Schulen waren alle Grundlagenfächerobligatorisch bis zum Abitur (nach 12 Schuljahren) zu belegen. Ab Klasse 11konnten die Schülerinnen/Schüler eines dermathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer als Vorzugsfach wählen underhielten damit in diesem Fach wöchentlich 5 Stunden zusätzlichen Unterrichtmit überwiegend selbständiger problemorientierter Tätigkeit unter Anwendungwissenschaftlicher Methoden und Verfahren. Sie hatten die Möglichkeit, nichtnur Gelerntes schlicht anzuwenden, sondern sich schöpferisch (kreativ) mitrealen Problemsituationen auseinander zusetzen. Dadurch war eine breitegrundlegende Allgemeinbildung bei gleichzeitiger Spezialisierung unter Berücksichtigungder spezifischen Interessen und Neigungen der Schülerinnen/Schüler gesichert.Ein nach meinem Verständnis bedenkenswertes Modell, das leider - wie vieleandere gute Ansätze aus falsch verstandenem Erneuerungsbedürfnis - nichtkonsequent weitergeführt, sogar verworfen wurde. Die durch die Pisa – Studienachgewiesenen Defizite hinsichtlich des Bildungsniveaus unserer Schülerinnen/Schülersollen hier nicht weiter belegt werden, denn die Ergebnisse der Studie gebenviel fundiertere Auskunft dazu. Über die sehr komplexen Ursachen dieserSituation ist inzwischen viel nachgedacht worden. Dazu werden sicher weitereAnalysen erfolgen, wenn die Ergebnisse der einzelnen Bundesländer Ende Junibekannt werden. Dabei sollte aber auf keinen Fall einseitig der schwarze Peterden Lehrerinnen /Lehrern zugeschoben werden. Es muss immer bedacht werden, dassder Kern aller Bildungsbemühungen – das Bildungskonzept, die Struktur desBildungssystems sowie teilweise auch die Ziele und Inhalte z. B. des Unterrichts– durch die Bildungspolitik festgelegt werden. Demzufolge sind Erfolg oderMisserfolg der Tätigkeit der Lehrerinnen/Lehrer in hohem Maße von oft durchparteipolitisch bestimmte Rahmenbedingungen abhängig. Die Bildungspolitik trägtdaher eine hohe Verantwortung für den Zustand der Bildung im Lande. Mir geht esim folgenden weniger um die Vertiefung der Ursachenanalyse, sondern mehr um dieKonsequenzen, die offensichtlich gezogen werden müssen. Dazu sind inzwischenebenfalls zahlreiche Überlegungen vorgetragen worden. Da ist die Rede von einerEinschulung bereits ab dem fünften Lebensjahr (u.a. Niedersachsen), von derEinführung eines „Kindergartenpflichtjahres“ vor der Einschulung (u.a.Saarland) , die flächendeckende Bereitstellung von Kindergartenplätzen (was inder DDR einschließlich der Betreuung durch speziell dafür ausgebildete pädagogischeKräfte gegeben war); von der Erhöhung der Leistungsanforderungen u.a. durchEinführung einer Prüfung nach Klasse 10 (u.a. Mecklenburg-Vorpommern). Gedachtwird auch daran, die Weiterbildung der Lehrerinnen/Lehrer auf eineverbindlichere Basis zu stellen. In der Diskussion ist auch dieLehrerausbildung. Sicher sind dies alles wichtige Fragen und Ansätze, um ausdem Tal herauszukommen. M. E. sind die hinter diesen Sinnträgern stehendenInhalte aber nicht grundsätzlich genug und gehen nicht hinreichend von demGedanken aus, eine zukunftsorientierte, nachhaltige Weiterentwicklung derBildung in unserem Lande zu sichern. Es drängt sich sogar die Sorge auf, das– ähnlich wie nach der TIMM-Studie - die Probleme letztlich „zerredet“werden und im Ergebnis nichts Wirkungsvolles passiert. Esist nun nicht beabsichtigt und im Rahmen dieses Artikels auch nicht möglich,dazu eine ausgewogene Studievorzulegen. Ich möchte aber auf einige mir wesentlich erscheinende Aspektehinweisen: - Im Mittelpunkt muss m.E. die „Suche“ nach einem zukunftorientierten Bildungskonzept stehen, das die Bildungsbemühungen in allen Bereichen zumindest für einige Jahrzehnte des dritten Jahrtausends Orientierung bietet. Gelingt das nicht, werden wir in absehbarer Zeit wieder den Zustand der Bildung in unserem Lande beklagen und uns wundern, dass ökologische, ökonomische und soziale Herausforderungen, die bereits jetzt absehbar sind, nicht gemeistert werden. In dem Zusammenhang sollten u.a. folgende grundsätzliche Fragen bedacht werden: Welche Verantwortung müssen die Eltern tragen? Was muss auch künftig durch das Elternhaus erreicht werden? Was muss getan werden, um eine familienpädagogische Qualifizierung der gegenwärtigen und künftigen Eltern zu erreichen? Was sollen Bildung und Erziehung mit Blick auf die Zukunft im Kindergarten, in der Schule und auch in den weiterführenden Bildungseinrichtungen eigentlich leisten? Hinsichtlich des Kindergartens scheint eine Neubestimmung seiner Funktion dringend geboten, wobei eine Besinnung auf Fröbel segensreich wäre. Diese Neubestimmung müsste wegführen von der jetzt vordergründig sozialpädagogischen Funktion des Kindergartens (....der Kindergarten als „ Bewahranstalt“) und hin zu der Auffassung, den Kindergarten als vorschulische Einrichtung mit deutlichem Bildungs- und Erziehungsauftrag zu betrachten. Anders: Im Kindergarten muss in sinnvoller Weise schulvorbereitende Arbeit geleistet werden. Die Kinder müssen spielend lernen, aber lernen und auch zur Anstrengungsbereitschaft erzogen werden („Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“). Die Fragen klingt banal, sie bleiben aber wahr. Bildung und Erziehung sind ohne Vorstellungen darüber, welche Kenntnisse die Zöglinge erwerben sollen, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten vornehmlich entwickelt werden müssen sowie welche Einstellungen und Verhaltensweisen gefördert werden sollen, nie erfolgt und sind auch unter den heutigen und zukünftigen Bedingungen nicht denkbar, wobei Zielvorstellungen immer auch von einem „Menschenbild“ und den damit verbundenen Wertvorstellungen bewusst oder unbewusst ausgehen. Jeder, der Bildungsabsichten verfolgt, hat natürlich Zielvorstellungen. Das trifft insbesondere für die Lehrerinnen/Lehrer zu. Aber entsprechen sie noch den Anforderungen einer zukunftsorientierten, nachhaltigen Bildung? Wenn man Lehrpläne und Schulbücher vergleicht, ist ein gewisser Konservatismus nicht zu übersehen. Und es sind Zweifel angebracht, ob von zukunftsorientierten Zielen und Inhalten ausgegangen wird. Verständlich wird das, wenn man weiß, dass seit den großen Projekten der 60iger und 70iger Jahre (u.a. dem amerikanischen BSCS- Projekt „Biological Science Curriculum Study Program“, den Untersuchungen zu verschiedenen Ansätzen der Strukturierung des Bildungsinhaltes in der BRD u.a. durch das IPN in Kiel, den Untersuchungen zum Grundwissen in der DDR an der Pädagogische Hochschule Güstrow und der Universität Rostock) meines Wissens keine oder nur partiell Forschungen zu generellen Bildungskonzepten, insbesondere zu den Zielen und Inhalten der Bildung erfolgt sind, wenn man von den Untersuchungen zu den Funktionen, Zielen, Inhalten und der Gestaltung des fakultativen Unterrichts (Neigungsunterrichts) in den Klassen 7 bis 12 in der DDR, PH Güstrow, absieht. Das trifft auch für die Lehrplantheorie und die Gestaltung der Lehrpläne (Rahmenprogramme) zu. Dieser Bereich der Bildungsforschung wurde nicht in gleichem Maße wie der Bereich Vermittlung und Aneignung beachtet. Schlüssige Konzepte und „Technologien“ der Vermittlung und Aneignung (Aneignungsstrategien) sind aber nur zu erwarten, wenn klar ist, „wohin die Reise gehen soll“ (was eigentlich vermittelt und angeeignet werden soll). Mit dieser Bemerkung soll aber nicht bestritten werden, dass auch eine Weiterentwicklung der „Lernkultur“ unter Berücksichtigung neuer Medien erfolgen muss, wobei aber nicht aus dem Auge verloren werden darf, dass in der Schule gelernt und manchmal auch gelernt werden muss, was keinen Spaß macht. Hier sind die Erziehungswissenschaften gefordert. Sie - insbesondere die Fachdidaktiken – können diese Aufgabe aber nur leisten, wenn sie über die unumgänglichen notwendigen personellen und materiellen Voraussetzungen verfügen. In Bezug hierauf ist aber derzeit die Entwicklung gegenläufig. Hinsichtlich der Fachdidaktiken an den Universitäten und Hochschulen sind in diesem Zusammenhang geradezu sträfliche Eingrenzungen erfolgt. Professuren wurden gestrichen, die Mitarbeiterzahl teilweise drastisch verringert. Es wurde sogar die Existenzberechtigung der Fachdidaktiken an den Universitäten und Hochschulen infrage gestellt. Hier liegen auch Gründe dafür, dass in Deutschland an der Pisa – Studie fast ausschließlich Mitarbeiter von Max–Planck–Instituten für Bildungsforschung mitgewirkt haben. Es geht aber nicht nur um personelle und materielle Voraussetzungen, sondern auch um eine sinnvolle zentrale Koordinierung gesellschaftlich notwendiger Forschung. Derzeit ist eine individualistisch bestimmte Zersplitterung zu beobachten. Sie im Interesse von Schwerpunktsetzungen und einer höheren Effizienz der Forschung zu überwinden, müsste eine der zentralen Schlussfolgerungen aus der Pisa – Studie sein.
2. Der letztgenannte Aspekt berührt Probleme, die mit dem „ Kultur- und Bildungsförderalismus“ in Deutschland zusammenhängen. Von der Verfassung„geschützt“ sind die Bundesländer ständig bestrebt, ja keinen Zipfelihrer Kulturhoheit aufzugeben. Dadurch wird offensichtlich eine sinnvolle(zeitgemäße) zentrale Koordinierung auf diesem Gebiet nahezu unmöglich. Wiees scheint, wehrt sich die Kultusministerkonferenz (KMK) auch gegen einezentrale Koordinierung notwendiger Konsequenzen aus der Pisa - Studie durch dasMinisterium für Bildung bzw. einer zentralen Arbeitgruppe auf Bundesebene mitentsprechenden Kompetenzen. Eine solche zentrale Koordinierung wäreinsbesondere im Hinblick auf die Lehrplanentwicklung geradezu zwingend. Derzeitwerden die Lehrpläne/Rahmenprogramme in den einzelnen Bundesländern durchentsprechende Arbeitgruppen, die von den Kultusministerien für alle Fächereingesetzt werden, erarbeitet. Folglich gibt es z.B. für jedes Fach derSekundarstufe 16 oft sehr verschiedene Lehrpläne/Rahmenprogramme, und dieszudem für jede Schulform; mit Blick auf die Vereinigung Europas – fast ein Stückaus dem Tollhaus. Es gibt nur wenige Länder in Europa, die sich dies leisten.Die damit in Verbindung stehenden Probleme sind unübersehbar. Dieentsprechenden Arbeitsgruppen geben sich natürlich alle Mühe, um ihrem Auftraggerecht zu werden. Aber die Mitglieder der Arbeitsgruppen sind meistgleichzeitig voll schulpraktisch tätig und können sich schon aus Zeitgründennicht intensiv mit dieser Aufgabe auseinander setzen. Für die Erarbeitung derLehrpläne ist zudem oft ein enger Zeitrahmen vorgegeben, so dass die für einezukunftsorientierte Lehrplanentwicklung unumgängliche Auseinandersetzung mittheoretischen Grundfragen nahezu unmöglich ist. Neue Lehrpläne werden kaumerprobt. Im Ergebnis bleiben – abgesehen von partiellen Änderungen – dieGrundkonzeptionen erhalten. Oft ist es daher auch kaum möglich, einewissenschaftlich überzeugende Begründung für Veränderungen zu erkennen. Dadas Vorgehen vielfach nicht auf Prinzipien wissenschaftlich-forschendenVorgehens beruht und das Resultat nicht durch den Erkenntnisstand derWissenschaft, sondern oft von aktuellen, auf die Gegenwart bezogenen Erfahrungenbestimmt wird, ist auch zu verstehen, dass das Resultat ( in diesem Falle Lehrpläne/Rahmenprogrammen) infolge von Veränderungen der politischen Konstellation in den einzelnenBundesländern infrage gestellt wird und neue Lehrpläne – wiederum meistkurzfristig- erarbeitet werden, wobei in der Regel wiederum nur quantitative,keine qualitativen Veränderungen zustande kommen. Von Verbänden, z.B. demVerband Deutscher Biologen, wurden zwar beachtenswerte Aktivitäten unternommen,um die Lehrplanentwicklung auf eine festere Basis zu stellen und auch eine begründeteVereinheitlichung zu erreichen. Da diese Aktivitäten und ihre Resultate nichtin staatlich verbindliche Formen überführt wurden, brachten sie meist nichtdie erhofften Wirkung. Um aus diesem „Teufelskreis „ herauszukommen, müsstedie Lehrplanentwicklung im Sinne der Umsetzung grundsätzlicher Ziel- undInhaltsbestimmung des Bildungskonzepts zentral durch staatlich (den Bund)legitimierte Arbeitgruppen erfolgen. Dies könnte bewirken, . die Grundlagen fürdie Unterrichtsgestaltung aus dem Kalkül oft nur temporärer politischerKonstellationen heraus zu halten und nicht zum „Spielball“ oft wenig begründeterAuffassungen der einen oder anderen gesellschaftlichen Gruppe zu nutzen. Dies hättezudem den Vorteil, unbegründete Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländernaufzuheben und auch eine umfassende Abstimmung der Ziele und Inhalte zwischenden Schulformen, Schulstufen und den einzelnen Fächern vorzunehmen. Für dieEffizienz z. B. des Unterrichtsist es von herausragender Bedeutung, das ein Fach in sinnvoller Weise auf dasandere aufbaut. Für den Biologieunterricht in den höheren Klassen z.B. sindVorleistungen aus den Fächern Physik und Chemie niveaubestimmend. Es wäre denkbar, dass zentral erarbeiteteLehrpläne nur etwa 80% des zur Verfügung stehenden Zeitvolumens ausfüllen unddie übrige Zeit für länderspezifische Ziele und Inhalte zur Verfügung steht,die durch Arbeitsgruppen der einzelnen Bundesländer zu bestimmen wären. Nachmeiner Überzeugung kommen wir aus dem Dilemma, das die Pisa – Studie fürunser Land weltweit sichtbar dokumentiert hat – nur heraus, wenn dieBildungskonzeption zukunftorientiert überdacht wird und ihre Umsetzung inLehrpläne/Rahmenprogramme/ Richtlinien weitgehend zentral erfolgt, wobei länderspezifischeGesichtpunkte zu berücksichtigen wären. und dennoch die Einheit in derVielfalt dominiert. Die Verständigung der Kultusministerkonferenz am 24. 05. 02in Eisenach, über Ländergrenzen hinweg einheitliche Bildungsstandards alsOrientierung für die Erreichung vergleichbarer Ziele zu erarbeiten, istzumindest ein Hoffungsschimmer, alte „Zöpfe“ zu beseitigen. - Erst wenn Klarheit über zukunftorientierte Bildungsabsichten besteht, wird es zwingend, auch über Strukturfragen des Bildungssystems sowie über die Art und Weise des Lehrens und Lernens nachzudenken. Auch hierzu sind wissenschaftlich – forschende Untersuchungen erforderlich. Ab wann soll eine Schulwegdifferenzierung wissenschaftlich begründet erfolgen – schon ab Klasse 5 oder erst ab Klasse 7 oder 8 ( für letztere Klassen sprechen zahlreich Untersuchungsergebnisse)? Welches quantitativer Verhältnis obligatorischer und fakultativer Unterweisungen ist im Hinblick auf die Förderung von Begabungen und Talenten sowie Interessen und Neigungen ab Klasse 5, evtl. schon eher, unerlässlich ( angebracht, begründet notwendig)? Viele Fragen ranken auch um die jetzige Handhabung des Kurssystems in der Sekundarstufe II. Es ist offensichtlich, dass sich die ursprüngliche Vorstellung, die Schüler/Schülerinnen würden bei der Auswahl der Kurse von ihren Interessen und Neigungen ausgehen, in der Praxis als Irrtum erwiesen hat. Ausgewählt wird nach ganz anderen Gesichtspunkten, was vielfach zur Abwahl mathematisch-naturwissenschaftlicher Kurse führt und damit der Förderung einer hinreichend breiten allgemeinen Grundlagenbildung u.a. als wesentliche Voraussetzung für die „Studierfähigkeit“ entgegensteht. Bei der Lösung dieses Problems bietet es sich an, die schon erwähnten Erfahrungen der Spezialschulen der DDR kritisch zu prüfen.
- Offensichtlich ist es auch unumgänglich, die Lehrerausbildung einer kritischen Analyse (Prüfung) zu unterziehen. In der Lehrerausbildung müsste dies vor allem unter dem Aspekt erfolgen, alle Teilbereiche sowohl die fachwissenschaftliche als auch die erziehungswissenschaftliche Ausbildung konsequent berufsbezogen und zukunftorientiert zu gestalten wie das in anderen Studiengängen erfolgreich praktiziert wird. Im Bereich Medizin wäre eine Ausbildung ohne unmittelbaren Zusammenhang mit der künftigen Tätigkeit der Medizinstudenten undenkbar, obwohl es Stimmen gibt, die besagen, dass das derzeit praktizierte System der Ausbildung auch noch nicht hinreichend den Anforderungen der ärztlichen Praxis entspricht. Absolventen der Lehramtsstudiengänge hingegen beklagen gegenwärtig nicht selten, dass sie sich nach Abschluss der universitären Phase ihrer Ausbildung nicht hinreichend auf die Anforderungen der Schulpraxis vorbereitet fühlen, was wohl auch stimmt. Diese Kritik umfasst einmal die fachwissenschaftliche Ausbildung. Sie bezieht sich u.a. darauf, dass oft nicht alle für die Unterrichtsgestaltung wesentlichen Themen herausgehoben werden und versucht wird, sie unter Berücksichtigung der vollen wissenschaftlichen Aussage und zukunftorientierter Konzeptionen zu interpretieren. Teilweise wird auch auf elementare Voraussetzungen für die Gestaltung des Unterricht zu wenig Wert gelegt. So reichen beispielsweise für die Gestaltung des Biologieunterricht vielfach die Formenkenntnisse (Artenkenntnisse) nicht aus. Eine gewisse „Berufsferne“ wird auch häufig der universitären erziehungswissenschaftlichen Ausbildung nachgesagt. Beklagt wird u.a., dass zwar wesentliche theoretische Grundlagen der praktischen Tätigkeit an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen Gegenstand der universitären Lehre sind, „Technologien“ ihrer Anwendung aber oft nicht berücksichtigt werden. Das betrifft vor allem die Bewältigung von Erziehungssituationen, u.a. das rechtzeitige Erkennen von Konfliktpotentialen und deren Lösung. Die Kritik bezieht sich auch darauf, dass die Ausbildung von Fähigkeiten und Fertigkeiten der Lehramtskandidaten nicht ausreicht, die Vermittlung sehr komplexer Sachverhalte und die Aneignung entsprechender Kenntnisse bei gleichzeitiger Förderung von Fähigkeiten und Fertigkeiten der Lernenden sowie die Erörterung damit verbundener philosophisch-weltanschaulicher Fragen wissenschaftlich begründet zu gestalten. Bessere Strukturen und Pläne zu schaffen, ist immer nur die eine Seite. Die Lehramtskandidaten, die Lehrerinnen/Lehrer müssen auch befähigt werden/sein, neue Konzepte anzunehmen und praktisch umzusetzen. In den Fachdidaktik Biologie z. B. müsste folglich außer einer praxisbezogenen allgemeinen Biologie- Didaktik der Anteil spezieller Unterweisungen, die auf jeweils weitgehend homogene Stoffkomplexe des Biologieunterrichts bezogen sind, wesentlich erweitert werden. Die Lehramtskandidaten müssten . schon in der Phase der universitären Ausbildung lernen, wie den Schülerinnen/Schülern Z. B. sehr komplexe Wechselwirkungen in einem Ökosystem oder biochemische Prozesse auf Zellebene, die nicht „sichtbar“ sind, wissenschaftlich begründet erschlossen werden sollten. Die Forderung nach einer Verstärkung der Berufsbezogenheit der Ausbildung in den Lehramtsstudiengängen schließt somit ein, in der Ausbildung eine enge Wechselwirkung zwischen Theorie und Praxis anzustreben. Meinungen, die universitäre Ausbildung (gegenwärtig die erste Phase der Ausbildung) könne dies nicht leisten und solle sich ausschließlich auf theoretische Grundlagen der künftigen Tätigkeit der Lehrerstudenten konzentrieren, sind lebensfremd und werden auch nicht der Aufgabe gerecht, die Studenten u.a. mit wissenschaftlich begründeten Lehr- und Lernmethoden soweit bekannt zu machen, dass sie diese in der Praxis auch anwenden können. Wenn man einer enge Verbindung zwischen Theorie und Praxis in der Ausbildung zustimmt, dann ist es unumgänglich, verstärkt und kontinuierlich unter Verantwortung wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universitäten Ausbildungsphasen direkt in der Praxis - also in Kindergärten und Schulen – ( z. B. pädagogisch-psychologische Übungen, unterrichtspraktische Übungen mit Video-Aufzeichnungen und nachfolgender umfassender Analyse) zu gestalten. Die Lehramtsstudenten müssten im Rahmen der universitären Ausbildung soweit geführt werden, dass sie nach Abschluss der Ausbildung in der Lage sind, Lehr- und Lernsituationen wissenschaftlich begründet zu analysieren und zu gestalten. Dies führt zwangsläufig zu der Frage, ob die derzeitige Gestaltung der Lehrerausbildung in zwei Phasen diesen Ansprüchen gerecht werden kann. Es ist zumindest Skepsis angebracht. Sie drängt sich auf, wenn man weiß, dass es zwischen beiden Phasen meist keine Abstimmungen gibt, die für die Ausbildung in der ersten und zweiten Phase Verantwortlichen oft gar nichts voneinander wissen und mit Beginn der zweiten Phase den Referendaren auch schon mal geraten wird, vor allem rasch das zu vergessen, was sie in den Erziehungswissenschaften an der Universität gelernt haben. Viele Beobachtungen deuten sogar darauf hin, das dieser Dualismus eine zukunftsorientierte und zugleich berufsbezogene Ausbildung nicht in dem Maße sichern kann, wie das notwendig wäre. Die Untersuchungen der Universität Oldenburg zu Vorteilen einer einphasigen Ausbildung und die langjährigen Erfahrungen der DDR mit dieser Form belegen zweifelsfrei, dass durch eine einphasige Ausbildung die Einheit von Theorie und Praxis im Sinne konkreten Berufsbezogenheit in wesentlich höherer Qualität gesichert werden kann. Vorteile liegen auf der Hand, und wenn sie in der Tat etwas teurer ist als die gegenwärtige Konzeption, dann sollte uns der damit realisierbare Bildungsfortschritt dies Wert sein. So fördert die enge Verbindung insbesondere der Erziehungswissenschaftler der Universitäten mit der alltäglichen Bildungs- und Erziehungspraxis die Qualität einer berufsbezogenen Lehre und erschließt Potenzen für die Forschung, u.a. auch für die Erprobung neuer Gestaltungsmodelle. Umgekehrt werden zahlreiche Lehrerinnen/Lehrer ständig mit Forschungsproblemen und deren Lösung in Beziehung gebracht. In Verbindung mit dem Hinweis auf Erfahrungen der DDR ist an dieser Stelle eine allgemeine Anmerkung angebracht. Wie in der BRD und anderen Ländern Europas sind in den letzten Jahrzehnten Lösungen für Bildungs- und Erziehungsprobleme erarbeitet worden, die helfen könnten, Konsequenzen aus der Pisa – Studie zu bewältigen. Leider erfolgt die Auswertung und Bewertung von Lösungen, die in der DDR entwickelt wurden, aus politisch-ideologischen Gründen nur zögernd. Fast 12 Jahre nach der Wiedervereinigung wäre es an der Zeit, ohne „politische Scheuklappen“, also unvoreingenommen und nur unter wissenschaftlich-sachlichen Aspekt die Aufarbeitung der Erfahrungen der DDR verstärkt zu betreiben, was aber nicht heißt, einfach zu kopieren.
- Das wäre auch hinsichtlich der Erfahrungen in der Gestaltung der Lehrerweiterbildung wünschenswert. Eine gezielt kontinuierliche Weiterbildung ist unter den Bedingungen eines raschen Erkenntniszuwachses und sich schnell wandelnder sozialer Gegebenheiten geradezu eine „Überlebensfrage“ für alle Berufstätige. Für den Lehrerberuf trifft das in besonderem Maße zu. Lehrerinnen/Lehrer müssen ihre Zöglinge auf künftige Anforderungen vorbereiten und daher mit den voraussichtlich die Zukunft bestimmenden Entwicklungen vertraut sein. In Anbetracht der zunehmend rascheren Entwicklungen in allen Bereichen, kann die Ausbildung die erforderliche „Zukunftssicht“ nur für einen begrenzten Zeitraum der Berufstätigkeit vermitteln. Sie muss folglich kontinuierlich erneuert werden. In der DDR gab es u.a. aus diesem Grunde die Verpflichtung aller Lehrerinnen/Lehrer, alle vier Jahre an einem Weiterbildungskurs teilzunehmen, der zumeist von Universitäten und Hochschulen gestaltet wurden. Im Mittelpunkt standen aktuelle fachwissenschaftliche und erziehungswissenschaftliche Themen. Über diesen Weg war es möglich, den Lehrerinnen/Lehrern Anregungen zu vermitteln, neue Entwicklungen und Erkenntnisse in ihre praktische Tätigkeit zu berücksichtigen. Gegenwärtig gibt es keine fest umrissene Verpflichtung der Lehrerinnen/Lehrer zur Weiterbildung. Bleibt dies über einen längeren Zeitraum so und nehmen Lehrerinnen/Lehrer nicht von sich aus Möglichkeiten war, sich über neue Konzepte zu informieren, muss dies zwangsläufig dazu führen, an den zukünftigen gesellschaftlichen Anforderungen vorbei zu bilden und zu erziehen.
Es gibt sicher zahlreiche weitere Aspekte, die berücksichtigt werden müssen, um einNiveau der Bildung in unserem Landes zu erreichen, das unumgänglich ist, um denAnforderungen der Zukunft in allen Bereichen zu entsprechen und iminternationalen Wettbewerb zu bestehen. Entscheidend wird aber sein, ob esgelingt, der Bildung nicht nur verbal ( in „Sonntagsreden“), sondern imgesamtgesellschaftlichen Geschehen (der täglichen gesellschaftlichen Praxis)eine zentrale Stellung zu sichern und dafür auch mehr Mittel aufzuwenden. Damitist auch angedeutet, dass Bildungsfragen permanent im Blickfeld aller Bürger,der staatlichen Einrichtungen und gesellschaftlicher Organisationen und nicht nur der Lehrerinnen/Lehrer sowie der zuständigen Ministerienstehen müssen. Es muss auch gelingen, die gesellschaftliche Stellung derLehrerinnen/Lehrer wesentlich zu erhöhen, ihre Autorität gegenüber Eltern undSchülern zu fördern und auch juristisch besser zu manifestieren. Dazu könnenauch Eltern beitragen, indem sie es vermeiden, pädagogische Maßnahmen derLehrerinnen /Lehrer in Gegenwart der Kinder kritisch zu kommentieren.Offensichtlich hat die Pisa - Studie ein „weites Feld“ eröffnet, daskurzfristige, mittel- und langfristige Aktivitäten heraus fordert. Da es sichum gesamtgesellschaftliche Anliegen handelt, ist es nicht abwegig anzuregen, wiezu anderen wichtigen Problemfeldern (z.B. dem Drogenmissbrauch) dem DeutschenBundestag auch zur Situation im Bildungsbereich jährlich einen Bericht durchdie Bundesregierung vorzulegen. | |